Seit Jahresanfang 2014 ist das Transaktionsvolumen in Europa stark gestiegen. Die seit Mitte 2013 erkennbaren Hinweise auf eine Rückkehr des Europäischen Wirtschaftswachstums haben das Vertrauen der Unternehmen schrittweise gestärkt und den Boden für einen neuen M&A-Zyklus bereitet.
Um langfristige Wachstumsziele zu erreichen, können Unternehmen heute nicht länger nur auf organisches Wachstum bauen. Deshalb konzentrieren sie sich zunehmend auf Zukäufe in unterschiedlichen Sektoren und Größen.
VERBESSERTES WIRTSCHAFTSUMFELD ALS ZEICHEN FÜR ZURÜCKGEKEHRTES SELBSTBEWUSSTEIN
Zum Ende des zweiten Quartals 2013 konnte Europa die Rezession hinter sich lassen und die systemischen Risiken nahmen ab. Die Unternehmen haben ihr Vertrauen in Investitionen wieder gewonnen. Obwohl der Markt sich nur langsam erholt, verbessert sich die Lage immer mehr.
Auch der Einkaufsmanagerindex der Eurozone deutet auf einen Aufschwung hin: Das Stimmungsbarometer zeigt seit mehreren Monaten nach oben und erreichte Ende April mit 54 Zählern ein Dreijahreshoch.
Auch weitere positive Signale, wie das Interesse der Anleger an risikoreichen Anlageklassen – insbesondere Aktien – spiegeln das zurückkehrende Vertrauen in den Markt. Europäische Unternehmen sind wieder in der Gewinnzone und Gewinnerwartungen für das Jahr 2014 sind insgesamt vielversprechend. Die Unternehmensbilanzen sind Großteils solide und die anhaltend niedrigen Zinsen erleichtern den Zugang zu Finanzierungen.
Da man einen unmittelbaren Zerfall der Eurozone nicht mehr befürchtet, sollten die wirtschaftliche Stabilisierung und die Belebung der Kreditvergabe für eine Erholung am M&A-Markt sorgen.
EIN NEUER M&A-ZYKLUS IN EUROPA
In Europa begann Mitte 2013 ein neuer M&A-Zyklus. Im laufenden Jahr 2014 ist bisher ein hohes Transaktionsvolumen verzeichnet worden: Vom 1. Januar bis zum 2. Juni 2014 wurden Deals mit einem Gesamtvolumen von 381 Milliarden USD angekündigt[1]. 2013 waren es im gleichen Zeitraum hingegen nur 218 Milliarden USD. Zwar ist die Zahl der Transaktionen in diesem Jahr leicht zurückgegangen (2.338 angekündigte Deals gegenüber 2.408 im Jahr 2013) doch die Volumina sind deutlich gestiegen. Dies stellt den stärksten Aufschwung in M&A Aktivitäten in Europa seit 2007 dar.
Die jüngsten Deals haben einen strategischen Hintergrund. Den Bietern ist daran gelegen, eine kritische Masse zu erlangen, ihre Marktposition auszubauen, sich die Marktführung in margenstarken Geschäftssegmenten zu sichern oder ihre Preisbildungsmacht zu verbessern, auch wenn dies eine Trennung von Randaktivitäten und eine Fokussierung auf das Kerngeschäft bedeutet.
Seit Anfang April gibt es einige neue große Transaktionen.
- Verkäufe: SFR wurde an Numericable verkauft
- Fusionen: Lafarge und Holcim
- Anlagentausch: Novartis und GlaxoSmithKline
- Interessenbekundung: General Electric will das Energiegeschäft von Alstom übernehmen.
Diese Transaktionen zeigen, dass derzeit jegliche Form von Deal möglich ist, sogar ein Merger zwischen zwei hochkapitalisierten Unternehmen wie Lafarge und Holcim, eine Fusion von zwei gleichgestellten Wettbewerbern mit ähnlicher Marktkapitalisierung und vergleichbarem Umsatz. Mit einem Umsatz von rund 30 Milliarden EUR wird das entstandene Unternehmen der größte Zementhersteller der Welt sein. Der Deal zeigt, dass auch gut aufgestellte Unternehmen durch anorganische Strategien wachsen müssen.
AUSBLICK
Die Beweggründe für die letzten Transaktionen zeigen, dass es demnächst noch zahlreiche weitere M&A-Aktivitäten in verschiedenen Sektoren geben könnte. Eine mögliche Ausnahme ist der Bankensektor, in welchem die ersten Konsolidierungen länger auf sich warten lassen könnten.
Die steuerliche Situation von US-Unternehmen mit europäischen Tochtergesellschaften könnte den europäischen Markt in den kommenden Monaten stützen. Diese Unternehmen haben enorme Barreserven angehäuft, die bei einer Rückführung in die USA mit einer Steuer von 35% belastet werden würden. Somit besteht für die Unternehmen, trotz des starken Euros, ein großer steuerlicher Anreiz, diese Mittel in Europa zu investieren. Das könnte einer der Gründe für das Übernahmeangebot von General Electric für Alstom und Pfizers Interesse an AstraZeneca sein.
Letzteres bedeutet auch gute Nachrichten für England und für britische Aktien. Die Unternehmenssteuer in Großbritannien ist schrittweise gesunken und wird bis 2015 bei nur mehr rund 20% liegen, einer im europäischen Vergleich attraktiven Höhe.
Auf Branchenebene dominieren die Telekommunikationsunternehmen die Schlagzeilen. Der Trend zur Konsolidierung in diesem Sektor steht zweifellos erst am Anfang. Im Juli sollen regulatorische Veränderungen in Europa bekanntgegeben werden, die eine Lockerung der Wettbewerbsregeln und einen stärker konzentrierten Telekommunikationssektor bewirken könnten. Eine mögliche Neuverteilung von Marktanteilen könnte zu Fusionen zwischen einigen Anbietern führen.
Auch in der Pharmabranche gibt es Potential für Zusammenschlüsse und Übernahmen. In diesem Sinne fand jüngst der Asset-Tausch zwischen GlaxoSmithKline und Novartis mit dem Ziel statt, zwei ehemals konkurrierende Geschäftseinheiten zu optimieren. Edmond de Rothschild Asset Management ist besonders überzeugt von dem britischen Pharmaunternehmen Shire, das trotz solider Fundamentaldaten mit einem hohen Abschlag gehandelt wird. Ein Übernahmeangebot für dieses Unternehmen könnte sich in einer attraktiven Prämie niederschlagen. Auch im Chemiesektor könnten die M&A Aktivitäten zunehmen. Der Sektor ist breitgefächert und umfasst sowohl Basis- als auch Spezialchemikalien, wobei es vor allem im letzteren, Margen-starken Bereich zu Konsolidierungen kommen könnte.
Die in den letzten Wochen angekündigten Deals zeigen, dass alle Arten von Transaktionen möglich sind. Allerdings muss man bei der Aktienwahl weiterhin selektiv bleiben. Zum einen werden nicht alle Deals abgeschlossen, Gründe sind Wettbewerbs- oder Managementprobleme oder wegen Intervention von Regierungen. Zum anderen führen nicht alle Deals automatisch zu Wertsteigerungen für die Aktionäre.
AUTOR: Philippe Lecoq, Co-Head of European Equities Edmond de Rothschild Asset Management